Phytotherapie, westliche

Definition

Die Phytotherapie oder Pflanzenheilkunde ist eine Therapieform, bei der ausschliesslich Pflanzen und ihre Wirkstoffe zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden. Der Begriff „Phytotherapie“ wurde vom französischen Arzt Henri Leclerc (1870-1955) geprägt.

Herkunft

Die Phytotherapie wurde und wird in allen Kulturkreisen angewendet und ist ein wichtiger Bestandteil traditioneller Medizinsysteme wie zum Beispiel der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) oder des Ayurveda. Die ersten schriftlichen Überlieferungen zu Heilpflanzen stammen allerdings von den Sumerern, die im 5. Jahrtausend v. Chr. das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris besiedelten. Auch die alten Ägypter beschrieben im 2. Jahrtausend v. Chr. in ihrem „Papyrus Neder“ Rezepte und Indikationen von über 700 Substanzen tierischer und pflanzlicher Herkunft, darunter Anis, Kümmel, Hanf und Leinsamen. Im antiken Griechenland gelangte die Pflanzenheilkunde durch Hippocrates (460-377 v. Chr.) zur eigentlichen Blüte. Dioskurides schrieb im 1. Jahrhundert n. Chr. seine „Grosse Arzneimittellehre“ mit über 600 katalogisierten Heilpflanzen, die bis ins 16. Jahrhundert sämtliche Arzneibücher beeinflusste.

Im Europa des frühen Mittelalters waren es vor allem Mönche und Nonnen, die sich mit der Heilwirkung von Pflanzen und Kräutern beschäftigten und ihre Erkenntnisse handschriftlich niederlegten. Berühmt sind die Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179), in denen zum ersten Mal die deutschen Heilkräuternamen neben den lateinischen Bezeichnungen der Pflanzen genannt wurden. Neben dieser sogenannten Klostermedizin existierte auch eine volkstümliche Kräuterheilkunde, die pflanzenkundige Heilerinnen praktizierten. Die systematische Weiterentwicklung der Kräuterheilkunde durch Gelehrte wie Paracelsus (1493-1541) trug dazu bei, dass die Pflanzenheilkunde auch von Ärzten und Apothekern eingesetzt wurde. Paracelsus hielt als erster die Regeln der sogenannten Signaturenlehre schriftlich fest: Jahrtausendelang ging man davon aus, dass jede Pflanze ein äusseres Merkmal ihrer Wirkkraft besitzt. Walnüsse zum Beispiel wurden aufgrund ihrer optischen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Gehirn bei Kopfschmerzen eingesetzt, Disteln bei Seitenstechen oder rote Blüten bei Blutarmut. Die Arzneimittelwahl basierte aber auch auf Erfahrungswerten oder war mystisch-religiös beeinflusst.

Neue Verfahren machten es zu Beginn des 19. Jahrhunderts möglich, die Wirkstoffe aus den Pflanzen zu isolieren, so zum Beispiel das Morphin aus dem eingetrockneten Milchsaft des Schlafmohns. Ende des 19. Jahrhunderts konnten jedoch mit Hilfe der sich rasch entwickelnden modernen Chemie synthetische Arzneimittel hergestellt werden, wodurch die Kräutermedizin ihre Monopolstellung verlor. In der Volksmedizin und als Selbstmedikation spielte sie aber weiterhin eine wichtige Rolle. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Inhaltsstoffe der Pflanzen auf ihre medizinische Wirksamkeit hin untersucht. Seither findet die Phytotherapie wieder vermehrt Beachtung: Sie wird sowohl von Schulmedizinern als auch von Naturheilpraktikern eingesetzt.

Grundlagen

Pflanzenheilkundige verwenden nicht nur die isolierten Wirkstoffe, sondern ganze Pflanzen und ihre Teile wie Blätter, Wurzeln, Blüten, Samen und Rinde. Der Hauptwirkstoff bestimmt das medizinische Einsatzgebiet, die gesamte Wirkung beruht aber auf dem Wechselspiel vieler verschiedener Bestandteile. So können zum Beispiel mit Extrakten aus der Weidenrinde gute Ergebnisse bei der Behandlung von rheumatischen Beschwerden erzielt werden, die nicht allein mit dem Vorhandensein des wichtigsten Inhaltsstoffs Salicin (chemische Grundsubstanz der Acetylsalicylsäure) erklärt werden können. Darüber hinaus ist das Nebenwirkungsprofil des Weidenrindenextraktes deutlich geringer als das von Acetylsalicylsäure, welche als Aspirin® weltbekannt ist.

Der Wirkstoffgehalt einer Heilpflanze hängt auch von der Jahreszeit, ihrem Standort, ihrer Versorgung mit Nährstoffen, dem Zeitpunkt der Ernte und der Lagerungsart ab.